RE: NOCTHA 2 - Story - 2

Eine Frau betritt die Küche und begrüßt uns, wobei sie bei meinem Anblick irritiert inne hält.
“Tut mir Leid. Kennen wir uns?”

“Ah, nein, noch nicht”, meine ich lächelnd und gehe auf sie zu, um ihr die Hand zu schütteln, “Ich bin Blair.”
“Tia”, antwortet sie mechanisch, aber immer noch zurückhaltend.
“Bin vor ein paar Minuten hier herein gestolpert. Wollte mich eigentlich verstecken bis ich gemerkt habe, dass hier schon jemand ist. Zum Glück kannte ich Dana schon, sonst hätte sie mir wahrscheinlich den Arsch aufgerissen bei meiner ‘Begrüßung’”. Ich deute beim letzten Wort mit den Fingern Hochkommas an und lache auf. “Hoffe, es ist okay, wenn ich mit frühstücke. Ich bin am Verhungern und Dana hat schon gekocht”, ich werfe Dana ein dankbares Lächeln zu und setze mich an den Tisch, den ich schnell fertig decke.

Alle bleiben einen Moment still, als mir einfällt, dass vorhin ja ein Schuss gefallen ist. “Was war eigentlich mit diesem Schuss?”, frage ich neugierig in die Stille hinein, “Ist irgendwas passiert?” Vielleicht hat der Schuss ja tatsächlich auch meine Verfolger verscheucht, überlege ich gerade und werfe einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Pistolen hatten die nämlich nicht, soweit ich gesehen hatte.

Dana kommt mit dem dampfenden Topf zu uns an den Tisch und stellt in auf ein paar Topflappen. “Lasst es euch schmecken.”

“Oh, das riecht herrlich”, mein Magen grummelt erneut lautstark vor sich hin, während ich mir mit der Kelle die Schüssel fülle, ungeduldig auf den heißen Inhalt puste und mir einen Löffel nach dem anderen hineinschiebe. Ich schließe genüsslich die Augen. “Mhm, ist das gut, Dana! Ein Fünf-Sterne-Menü im Gegensatz zu dem schalen Zwieback, mit dem ich mich die letzten vier Tage über Wasser gehalten habe.” Schneller als gedacht leere ich meine Schüssel während ich darauf warte, was Tia zu dem Schuss zu berichten hat.

Als Tia in die Küche kommt, zucke ich leicht zusammen. Verdammt, da war ja was! Sie hatte gestern keinerlei Reaktionen auf meine Erklärungsversuche unternommen. Fast so, als wollte sie sich nicht erinnern. Wer kann es ihr verübeln? Da ich keine Ahnung habe, wie es ihr jetzt gerade geht, drehe ich mich auf meinem Stuhl zu ihr um und mustere sie eindringlich. Zeigt sie Reaktionen? Hatte sich etwas verändert? Gebessert? Blair... so hieß sie doch oder?

"Linda!"
“Ich bin Blair.”
"Verdammt!"
'Idiot.'

Sie stellt sich Tia wesentlich angenehmer vor als mir. Wesentlich. Ich versuche mir ein Schmunzeln zu verkneifen und räuspere mich. Hoffentlich behält sie das wirklich für sich. Dann sehe ich zu Dana rüber, die mich angrinst. 'Und du auch!' wettere ich in Gedanken. Nachdem Blair sich wieder gesetzt hat und reinhaut, als habe sie 3 Tage nichts mehr gegessen und... wäre ich... egal, schaue ich wieder zu Tia. Ihre Reaktion fiel nicht so aus, als sei sie empört oder überrascht.
"Hey." meine ich besorgt in ihre Richtung. "Wie geht's dir? Konntest du schlafen?" Ich schiebe einen Stuhl am Tisch zurück, damit sie sich setzen kann, wenn sie möchte. Alles ist besser, als wieder abzuhauen. "Blair ist, tatsächlich ein neues Gesicht." grinse ich. "Für uns Alle. Vielleicht hilft dir das irgendwie, zu wissen, dass noch andere keine Ahnung haben, wer wir sind?" 'Sehr Taktvoll, Sam...' "Zumindest scheint es ihr bei uns so gut zu gefallen, dass sie unsere Vorräte aufbraucht." meine ich beim Blick auf ihren Teller und schiebe ihr meinen hin. Irgendwie habe ich noch keinen Appetit. Sorry Dana, ist sicher klasse geworden. "Nimm mir das nicht übel." flüstere ich Blair zu. "Aber ich hab so einiges Gut bei dir." Dabei deute ich ein Zwinkern mit meinem roten Auge an, dass direkt wieder beginnt zu tränen. "Oh shit..." murmle ich leise zu mir und wische es mir mit dem Hoodieärmel ab. "Tia ist unsere Ärztin, wenn man das so sagen darf?" Ich sehe sie entschuldigend an, da ich die Aussage ja schon getroffen habe. "Wie geht es dir?" frage ich sie.
"Nochmal." 'Was?' "Nochmal du Milchbrötchen. Nochmal. Du hast Tia schon gefragt wie es ihr geht!" 'Ah ja...' "Und den Anderen?" ergänze ich schnell.

"Vor allem nach dem Schuss?" wirft Dana vom Herd aus ein und deutet auf Blair, die Tia wegen dieser Sachen ebenfalls fragen ansieht.

"Ja, vor allem nach... was für ein Schuss?" Meine Augen weiten sich.
"Das hat Linda auch schon gefragt, Blitzmerker!"
'Blair.'
"Gib nicht so an."

"Du hattest auch was von Schuss gesagt." wende ich mich aufgeregt an Blair. Wieso reden eigentlich alle von einem Schuss?
"Weil vorhin einer gefallen ist?"
'Und wieso weiß ich davon nichts?'
"Weil ich lerne, mit deinen Sinnen zu spielen Freak. Als nächstes lasse ich dich Brownies riechen."
'Fick dich!'

"Ich hab davon nichts mitbekommen. Muss an meinem guten Schlaf liegen." murmle ich kleinlaut. "Ja, klar..." Ich sehe wieder zu Tia in der Hoffnung Antworten zu bekommen. Blair scheint auch auf eine Antwort zu warten, während sie beginnt sich über meinen Teller her zu machen.

“Mir tut es Leid, dass ich jetzt mit der Tür ins Haus fallen muss Tia. Aber wir müssen dafür Sorgen das dein Gehirn wieder richtig funktioniert.

Bei den Worten von meinem Bruder bekomme ich einen Herzstillstand. Ich sehe Tia schon aus dem Raum rennen. Treppe runter. Haustür auf. Rein in eins der Autos. Und weg. Wahrscheinlich würden wir dann ein paar Tage später ihre Leiche finden. Zerfetzt von einem Mutierten, dem sie in ihrer Ahnungslosigkeit zu helfen versuchte. Mit wird schlecht, bevor ich meinem Bruder jedoch ins Wort fallen kann, hat er Tia die Ereignisse schon auf dem Silbertablett serviert.
Mit angehaltenem Atem sehe ich zu Tia hinüber. Mit dem was jetzt folgte hatte ich allerdings nicht gerechnet.

“Ich weiß das ihr mich nicht entführt habt. Ich weiß das die Welt den Bach runter gegangen ist. Ich weiß von dem Virus. Nur das, was du gerade erzählst…Das letzte was ich weiß ist, dass Rhain geteasert wurde, Prinz Charming wurde niedergeschlagen und irgendwer hat mich unter dem verdammten Bett hervorgezogen. Mir geht's gut, okay. Ich brauche nur einfach… keine Ahnung… Kaffee am besten.”

Sie erinnerte sich? War sie deswegen gerade eben auf die Knie gesunken? Hatte die Waffe...? Nein, sie meinte gerade das die Ereignisse nachdem, sie unter dem Bett hervor gezogen worden war, weiterhin im Dunkeln lagen. Ich stoße die Luft aus. Dann war die alte Tia wieder da? So ganz glauben konnte ich es noch nicht.
Tia schlüpft an mir und meinem Bruder vorbei und verlässt mit einem: “Mir geht’s wirklich gut.”, das Zimmer. Ich sehe ihr eine Weile etwas perplex nach.

"Da haben wir wohl ein Problem weniger", richte ich das Wort schließlich an meinen Bruder. Er nickt. "Bleibt Rhain." Er dreht sich um und geht auf die Tür zu. In meinem Kopf läuten schon wieder die Alarmglocken. Dieses Mal nicht weil Tia wie von Sinnen mit meiner Waffe in der Luft herum fuchtelte, sondern weil ich uns auf die nächste Katastrophe zu schliddern sah. Rhain und mein Bruder in einem Zimmer, wenn einer der beiden emotional geladen war? No way. Der Angriff der Mutanten nach dem letzten Streit hatte mir gereicht.
"Du gehst runter und holst dir einen Kaffee. Ich sehe nach Rhain." Er dreht sich halb zu mir, nickt und verschwindet in Richtung Treppe.

Bevor ich das Zimmer verlasse, höre ich Rhains Stimme in meinem Kopf. "und vor allem ….. Jared! Zieh dir mal was an!” Ich sehe an mir herunter und verziehe das Gesicht. War vielleicht wirklich von Vorteil, wenn ich nicht weiter in Boxershorts durch das Haus lief. Ich nehme mir die Hose, die ich am Abend aus dem Schrank heraus gesucht hatte, schlüpfe hinein und gehe dann in den Flur. Ich höre Rhain schluchzen, bevor ich sie zusammen gesunken auf dem Boden entdecke. In ihren zitternden Händen hält sie eine Ampulle und eine Einmalspritze.
Vorsichtig klopfe ich an die offene Tür. "Hey..." Mehr sage ich vorerst nicht.

Mein Blick wandert von Sam zu Tia. Irgendwie seltsam, wie er mit ihr redet. Als wäre sie geistig nicht ganz auf der Höhe. Aber hey, Inklusion heißt eben auch, die Schwächeren nicht zurück zu lassen. Ist schonmal ein Indiz für eine anständige Gruppe. Bei Dana hätte ich ohnehin nicht erwartet, dass sie mit Arschlöchern herumhängt. Und Sam scheint bisher auch ganz okay.

"Nimm mir das nicht übel", flüstert Sam mir just zu und schiebt seinen Teller zu mir herüber, "Aber ich hab so einiges Gut bei dir."
Hm? Ich schaue ihn kurz fragend an. Übel nehmen? Das mit den Vorräten wegfuttern? Ist ja nur die Wahrheit. Ich grinse kurz und mache mich - nur mit dem Hauch eines schlechten Gewissens - über seine Portion her.
"Tia ist unsere Ärztin, wenn man das so sagen darf?" Ich verschlucke mich kurz und räuspere mich umständlich. Ups. Und ich habe sie gerade gedanklich noch als ‘geistig nicht ganz auf der Höhe’ einsortiert. Vielleicht sollte ich mir mal angewöhnen nicht so schnell zu urteilen?
"Alles gut Sam. Ich weiß wer ihr seid”, meldet sich Tia nun zu Wort und setzt sich neben Sam an den Tisch. Puh, Glück gehabt. Eine Ärztin ‘griffbereit’ zu haben ist schließlich super, noch besser, wenn bei ihr auch alles gut ist. Dann kommt sie endlich auf den Schuss zu sprechen.

"Ich habe mir die Waffe von Jared genommen. Sie lag auf dem Nachttisch. Er ist mir dumm gekommen."
Ich verschlucke mich erneut und huste umständlich. “Bitte, was?”, japse ich. Lag ich mit der Einschätzung ihres geistigen Zustands vielleicht doch nicht so falsch? Ah, wo bin ich denn da reingeraten? Hat sie nicht gerade noch gesagt, den anderen gehe es gut, außer dieser Rhain, die neben der Spur wäre? Ich lehne mich etwas zurück und mustere Tia von oben bis unten. Hat sie die Waffe vielleicht noch irgendwo im Hosenbund stecken? “Sicher, dass es allen gut geht?”, leicht nervös schiele ich in Richtung Treppe, “Ich mein, sollten die nicht auch langsam mal runterkommen? Schlafen die noch?” Für immer vielleicht? Sie wäre bestimmt nicht die erste Person, die in Zeiten wie diesen durchdreht und alle erschießt, damit sie erlöst werden oder so etwas in der Art. ‘Aber, aber! Du wolltest doch nicht mehr so schnell urteilen’, ermahne ich mich selbst. Vielleicht war das ja nur ein Scherz? Abwartend beobachte ich wie die Reaktion von Dana und Sam ausfällt während ich den zweiten Teller leer mache. Wer weiß, wann ich wieder etwas zu essen ergattere.

"Alles gut Sam. Ich weiß wer ihr seit."
Hab ich das gerade richtig verstanden? Meine Augen weiten sich. Sie hat ihre Erinnerungen wieder? Oder meinte sie einfach nur, dass sie weiß, wer wir sind, weil sie uns gestern kennengelernt hat?

"Wie geht es dir? Und den Anderen?"
"Gut. Rhain scheint ein bisschen neben der Spur."
Rhain... Neben der Spur? Hat sie sich kein Bett gesucht? Sie ist doch vor mir aus der Garage raus... Dachte ich hätte sie in den Keller gehen sehen? Sie wird ja wohl kaum unten in der Kälte geschlafen haben? Na wenn Tia weiß, wie es ihr geht, wird sie sie schon gesehen haben oder? Dann hat sie ja wohl oben geschlafen oder ist schon wach und hoch gegangen? Aber dann hätten wir sie ja sehen müssen.

"Ich habe mir die Waffe von Jared genommen. Sie lag auf dem Nachttisch. Er ist mir dumm gekommen."
WHAT??? "JA BITCH!!! KNALL IHN AB!!!
Vor lauter Schreck verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke, da ich mein Frühstück gerade Blair rüber geschoben habe, die auch als erstes reagiert, während ich noch huste. “Bitte, was?” "Ja, was?" Hat Tia sich doch noch nicht erinnert und den ersten ihrer 'Entführer' ausgeschaltet? Fassungslos starre ich sie an, wärend Blair schon weiter fragt. “Sicher, dass es allen gut geht? Ich mein, sollten die nicht auch langsam mal runterkommen? Schlafen die noch?”

Ich könnte jetzt fragen, wieviele Schüsse die anderen gehört haben, während ich... "Drei! DREI! Bonnie hat die Hälfte eurer Truppe im Alleingang ausgelöscht! Das ist mein Mädchen! Erst die Stärksten der Truppe ausschalten, Jared und Travis. Bulle und Soldat! Geil! Rhain war wohl Kollateralschaden oder stand einfach im Weg. Wie immer! Ich feier dich gerade Tia!!!" Mein Kopf sinkt auf meine Hände und ich stütze mich auf dem Tisch ab. Jetzt hat dieser kleine rote Bastard Kopfschmerzen herauf beschworen. Ich schiebe eine Hand in meine Hoodietasche um nach den Tabletten zu suchen, die Tia mir besorgt hatte, finde aber nur die Socken und die Shorts, die ich da rein gestopft hatte. "Keine Pillen für dich!!! Keine Pillen für dich!!!" Und er singt schon wieder. Ich greife in die Hosentasche und finde einen der Blister. Meine Hand krallt sich um das Plastik und ich seufze erleichtert."Du wirst doch nicht..." '...doch, werde ich du Arschloch! Wird Zeit, dass du auf die stille Treppe geschickt wirst!' Er zetert noch unverständliche Scheisse vor sich hin, als ich mir eine der Tabletten aus der Packung löse und sie trocken hustend ohne etwas zu trinken herunter würge. Ich lasse den Kopf einen Moment im Nacken liegen und schüttel ihn dann leicht. Die Kopfschmerzen sind noch da, aber der Bastard hat Sendepause.

"Jetzt mal von vorne, Tia. Was weißt du noch oder wieder? Und wieso hast du geschossen?" Spielt das überhaupt eine Rolle? Was ist nur los, an diesem Morgen? Mein Mund fühlt sich nach der Tablette eklig an und ich stehe doch auf um mir einen Schluck Wasser zu holen. Tia stelle ich auch gleich ein Glas hin, in der Hoffnung sie sieht das als Aufforderung sich den Mund fusselig zu reden, was genau hier los war. Aufstehen war keine gute Idee, jetzt brummt mein Schädel auch noch und mein Auge fängt wieder an zu tränen. Man sollte eben nicht mit einer Klobürste im Auge geweckt werden. Automatisch fahren meine Fingerspitzen über meine Oberlippe. Trocken. Kein Blut. Wenigstens etwas.

Ich werfe noch einen kurzen Blick in das Zimmer, in das Jared gerade verschwunden ist. Rhain und mein Bruder setzen sich gerade auf das Bett. Rhain scheint ein wenig entspannter. Gut, dann hole ich mir jetzt meinen Kaffee. Ich gehe die Treppe runter und folge den Stimmen, die aus der Küche zu kommen scheinen. Tatsächlich hat sich in der Küche die ganze Mannschaft versammelt. Dana steht am Herd. Tia, Sam und... Ich stocke und bleibe im Türrahmen stehen. Eine junge Frau, dunkle Haare, Anfang 20. War gestern definitiv noch nicht hier. Ich runzle die Stirn.

“Bitte, was?”

Die fremde Frau verschluckt sich an dem Eintopf, den sie gerade vor sich stehen hat und auch Sam hustet und sieht anschließen Fassungslos zu Tia. Hatte sie ihnen gerade erzählt, dass ihre Erinnerungen wieder da waren? Dann reagierte man doch aber nicht so völlig Fassungslos.

“Sicher, dass es allen gut geht? Ich mein, sollten die nicht auch langsam mal runterkommen? Schlafen die noch?”

Die junge Frau klingt irgendwie panisch. Hatte ich irgendetwas verpasst? "Naja, kann man sehen wie man will," beantworte ich die Frage an Tias Stelle. Ich gehe zu Dana an die Kochzeile, hole aus einem der Schränke die Dose mit dem löslichen Kaffee und einen Becher. Einen Moment überlege, ob ich mir die Mühe mache und das Wasser erhitze. Entscheide mich aber dagegen. Ich hatte gerade nicht die Geduld. Also lasse Wasser aus der Leitung in den Becher fließen und gebe drei Löffel von dem Pulver hinein, halte kurz inne und lasse zwei weitere gehäufte Löffel folgen. Ich brauchte Koffein, wenn möglich eine ganze Kanne. Ich rühre um, wende mich den anderen zu und lehne mich gegen die Arbeitsplatte. "Travis", stelle ich mich der jungen Frau vor und lasse meinen Blick noch einmal über die Anwesenden gleiten. "Habt ihr ein Gespenst gesehen, oder wieso seht ihr aus, als hätte man eure Köpfe in weiße Farbe getaucht?"

Ich habe mir die Waffe von Jared genommen. Sie lag auf dem Nachttisch. Er ist mir dumm gekommen."
Hat sie das gerade wirklich gesagt? Ich lehne mich am Tresen an und merke, wie ich nach dem Kochlöffel greife, der neben mir liegt. Hat sie wirklich ihre Erinnerungen wieder? Und wenn ja, wieso schießt sie dann auf Jared, weil er ihr dumm kommt? "Scheiße...was?", frage ich entsetzt und stelle mir schon vor, wie Jared in einer Blutlache liegt, mit einem Loch im Schädel. Sind ihre Erinnerungen verschoben? Ist sie jetzt völlig verwirrt? Soll ich ihr eine mit dem Löffel verpassen? Geht es ihr dann besser? Selbst Blair und Sam wirken ziemlich verwirrt durch ihre Worte und Blair nimmt sogar etwas Abstand zu Tia.
Mein Blick fällt flüchtig auf den Holzlöffel in der Hand, als Travis ums Eck kommt und sich den löslichen Kaffee aus dem Schrank links neben mir heraus nimmt. Er wirkt ziemlich entspannt. Zu entspannt, als das sein Bruder oben mit einer Kugel im Kopf liegen würde. Ich atme aus und lege den Löffel wieder beiseite.
"Habt ihr ein Gespenst gesehen, oder wieso seht ihr aus, als hätte man eure Köpfe in weiße Farbe getaucht?"
"Nein, kein Gespenst. Wir dachten nur kurz, dass Tia deinen Bruder erschossen hat." Ich puste mir eine Strähne aus dem Gesicht und lache auf. "Danke Tia, für den Schrecken am Morgen. Nicht einmal Blairs Kl....Attacke auf Sam hat mich so wachgerüttelt." Hat Travis sich nicht gerade den löslichen Kaffee geschnappt? Ich sehe zu ihm, wie er das Pulver im kalten Wasser umrührt. "Travis! So kann man doch keinen Kaffee trinken!"
Schon stehe ich bei ihm und nehme ihm die Tasse aus der Hand. "Setz dich! Ich mach das. Noch wer einen Kaffee?" Ich suche nach einem Teekessel und werde im Schrank neben den Töpfen fündig. Diesen fülle ich mit Wasser und stelle ihn dann auf die noch heiße Herdplatte. Zum Glück ist das hier ein Gasherd und das Wasser kocht schnell.
Während ich darauf warte, dass der Kessel anfängt zu piepsen, fällt mir wieder der Zettel ein und mein Blick fällt auf Travis, der noch immer neben mir steht. Gut, dann eben nicht sitzen. "Travis? Du bist...warst doch Polizist, oder?" Ich fummle an dem Zettel in meiner Hosentasche und ziehe ihn schließlich heraus. "Mit diesem Zettel in der Hand bin ich heute aufgewacht." Flüchtig mustere ich sein Gesicht, ehe ich mich wieder dem Kessel zuwende, der völlig unnötig viel zu laut zum Piepsen anfängt. Den Kessel von der Platte gehoben, schalte ich den Herd aus und hole ein paar Tassen heraus. Der Kessel ist altmodisch und hat sogar einen Aufsatz für den Filter oben drauf. Diesen setze ich drauf und gebe Kaffeepulver hinein. Frischen Kaffee. Keinen löslichen.
Nach einer Zeit macht sich das köstliche Aroma von schwarzem Gold in der Küche breit und ich lächle sogar kurz. Doch der Gedanke an die Zeilen des Briefes schiebt sich wieder in meine Gedanken und ich sehe wieder zu Travis.

"Ich weiß alles bis zum dem Moment, wo mich jemand unter einem Bett hervor zerrt." Oh Gott sei dank! Wenigstens ist das geklärt. Ich seufze beruhigt und sacke auf meinem Stuhl zusammen, lächle ihr sogar ein wenig zu.
"Das mit dem Schuss war ein Versehen." Haha ha... ja, kann schon mal passieren. Dummerweise haben wir einen leichten Anfall von Apokalypse und es sollte nicht passieren! Aber Schwamm drüber. Niemand verletzte, alles gut. Ne Patrone weniger, aber Wayne? Diesmal grinse ich sie an und nicke dabei. Was tue ich da? Sigmund Freud spielen? Sie nach ihrer Mutter fragen. Ich räuspere mich und verschränke die Arme vor der Brust. Dann lehne ich mich nach vorne und schaue auf meinen Teller, der aussieht wie die Tischplatte. Ach ja. Blair hat meinen Teller bekommen. Geht's dir eigentlich gut Sam?

"Ich weiß, dass der Plan war so schnell wie möglich nach Toronto zu kommen" Tia sieht mich an, als wollte sie, dass ich etwas dazu sage. Mir war Toronto doch ziemlich egal, ich will nur nicht zurück gelassen werden. Ich kneife die Augen zusammen und sehe sie an. Kommunizier mit mir, Tia. Gedankenübertragung? Banana Split? Geile Idee! Aber ich glaube nicht, dass diese Gedanken von Tia stammen. Gerade setze ich an um irgendwas zu sagen, da... "...aber ich denke wir sollten vorher einen Abstecher in die nächst größere Klinik machen." Jetzt ist es raus! Sorry, wäre ich im Leben nicht drauf gekommen. In einer Gameshow wären wir ein mieses Duo.

"Vielleicht New York?"
"Ich weiß nicht ob Pittsburgh auch geht?"

Wieso will sie denn jetzt in ein Krankenhaus? Hat der Schuss eben doch etwas wichtiges bei Jared getroffen? Dann wären doch nicht alle so ruhig? Krankenhaus ist ja grundsätzlich keine schlechte Idee, aber wieso jetzt? Wieso ein Großes? Wieso ein... meine Gedanken rutschen in meine Hosentasche. Blister! Nein! Nein, nein, nein, nein... "Nein!" Ich schaue Tia an. "Vergiss es. Toronto ist das Ziel und da sollten wir schleunigst hin. Alles andere ist ziemlich egal. Wenn wir auf dem Weg was finden, können wir uns ja mal umschauen, aber du willst doch nicht wirklich einen Umweg für... keine Ahnung für was... einen Versuch? Belassen wir es bei den Tabletten und sehen, wie weit wir kommen, okay?" Wow, ziemlich viele Infos, die sie versteht. Dana auch. Die Anderen nicht. Wozu auch. Meine Sache. Tias Sache, weil sie Ärztin ist und ich sie mir ausgesucht habe. Dana, weil sie es erkannt hatte. Rhain, weil sie dabei stand. Wieso die Anderen damit belasten? Als ob meine Probleme so weltbewegend sind, wie die scheiß Endzeit. Deshalb hatte sie mich eben so angeschaut. Ich atme hörbar aus und suche mir einen Punkt irgendwo im nirgendwo den ich anstarren kann. Dann sehe ich doch wieder fragend zu Tia und versuche die Finger meiner Faust mit meinem Daumen zum knacken zu bringen. "Dein Ernst?" Dabei schüttle ich den Kopf.

Alle glotzen entsetzt Tia an, als ein großer Kerl die Küche betritt, sich mir als Travis vorstellt und dann anfängt mit Tassen und Pulver herum zu hantieren. “Blair”, erwidere ich mechanisch und versuche thematisch irgendwie mitzukommen, da bricht Tia auch schon in schallendes Gelächter aus. Irritiert blicke ich von einem zum anderen. Finde nur ich die Situation so verwirrend?
"Das mit dem Schuss war ein Versehen”, gibt Tia ihre Erklärung ab. Ich lächle unsicher. Netter Scherz. In der Apokalypse herumballern und dann so tun als hätte man jemanden erschossen, weil er einem dumm gekommen ist. Jaha, der war gut. Bisschen Galgenhumor und so. Ist aber auch irgendwie nachvollziehbar, wenn ich genauer darüber nachdenke.

Kurz darauf legt Tia ihre Überlegungen zum weiteren Vorgehen dar und schlägt ein Krankenhaus statt Toronto als nächstes Ziel vor.
"Vergiss es. Toronto ist das Ziel und da sollten wir schleunigst hin. Alles andere ist ziemlich egal. Wenn wir auf dem Weg was finden, können wir uns ja mal umschauen, aber du willst doch nicht wirklich einen Umweg für... keine Ahnung für was... einen Versuch? Belassen wir es bei den Tabletten und sehen, wie weit wir kommen, okay?", stammelt Sam sichtlich abwehrend.
Ich runzle die Stirn. “Bist du etwa krank?”, frage ich gerade heraus und beuge mich näher an Sams Gesicht, “So schlimm sieht dein Auge doch gar nicht aus.” Das ist gelogen. Es sieht tatsächlich ziemlich rot aus. Sam weicht ein Stück von mir zurück und sieht mich mit einer Mischung aus Entsetzen, Verwirrung und stummen Flehen an. Auch Tia wirkt als hätte ich gerade etwas total Falsches gesagt.
“Oookay…”, ich lehne mich wieder zurück. Das scheint irgendwie ein Fettnäpfchen gewesen zu sein, in das ich mit Anlauf hineingehechtet bin. “Puh, Krankenhaus klingt vernünftig. Man kann nie genug Ibuprofen haben, schätze ich”, versuche ich lächelnd wieder auf neutralen Gesprächsboden zu kommen. “Was gibt es denn eigentlich in Toronto?”, vielleicht ist das ja ein guter Themenwechsel, “Kann ich mich anschließen?”

“Das sagt du genau der Richtigen, die so egoistisch ist, nicht mal das Schmerzmittel zu teilen, obwohl du eine Kugel abbekommen hast, also für ein schlechtes Gewissen, hast du genau jetzt den Richtigen Zeitpunkt erwischt."

Mein Blick wandert zu meinem Bein. Die Schmerzen hatte ich heute morgen tatsächlich vergessen. Was unter anderem an Tias Lippen an meinem Hals lag, der Tatsache, dass sie mit meiner Waffe in den Boden geschossen hatte, ihren widergekommenen Erinnerungen und der völlig aus dem Ruder gelaufenen Rhain. Ich hatte so viel um die Ohren, dass das schmerzhafte Pochen in den Hintergrund gerückt war. Ich zucke mit den Schultern. "Ich denke nicht, dass das die letzte Dosis war." Ich lächle ihr zu.


“Ja ich mag die Truppe auch …. umso schlimmer hat es mich mitgenommen, als ich dachte ihr wärt alle in dem Haus in die Luft geflogen …. und vorher noch der Streit mit Travis und Sam … Ich hoffe das gestern konnte es einigermaßen wieder richten. Nur vor Dana habe ich sehr viel Respekt”.

Ich stoße die Luft aus. Ja der Abend in dem Haus. Die darauffolgende Woche dürfte für Rhain der Horror gewesen sein, denn selbst wir hatten es nicht leicht gehabt. Und wir waren nicht auf uns alleine gestellt. "Versprich mir nur, dass du nicht wieder weg läufst." Ich sehe zu ihr rüber. "Wir haben uns Sorgen gemacht. Wir dachten, du wärst Tod." Ich lächle ihr zu, um meinen Worten ein wenig die Härte zu nehmen. "Wir brauchen uns." Ich zucke mit den Schultern. Wir brauchten uns tatsächlich. In dieser beschissenen Welt war jeder auf jeden angewiesen. Wir ergänzten uns. Sam mit seinen verrückten, aber funktionierenden Ideen und für seinen Mut. Travis, alleine schon, weil er mit Waffen umgehen konnte. Tia war Ärztin und allein deswegen Gold wert. Rhain, nicht nur weil sie wusste wie man ein Flugzeug bediente, sondern weil sie anpackte. Ohne sie wäre mein Bruder nicht mehr hier und das was sie da vollbracht hatte... Das hätte nicht jeder getan. Das hätte nicht jeder gekonnt. Über Dana wusste ich zu wenig, aber auch sie war für unsere Gruppe schon jetzt eine Bereicherung.
"Was hälst du davon, wenn wir uns zu den anderen gesellen? Das riecht nach Frühstück." Ich grinse.